Von der Waterkant ins alte Land
Die Wettervorhersagen prophezeien für die kommenden Tage traumhafte Bedingungen für den Norden voraus.
Am Donnerstag ging es mit Sack und Pack los.
Für den ersten Tag habe ich mir eine Strecke von 50 km vorgenommen. Die Sonne lacht schelmisch vom Himmel, was sich nach zwei Stunden schlagartig änderte. Mein erstes Etappenziel erreiche ich bei strömenden Regen und die Temperaturen fallen in den Keller. Der Regen macht auch nachts keine Pause, dazu gesellt sich ein kräftiger Nordwestler, der mich die ganze Nacht über erfolgreich wach hält. Noch im Morgengrauen packe ich mein patschnasses Zelt, welches ich vorher von den 58 Nacktschnecken mühsam und voller Ekel befreit habe, mit dem etwas klammen Schlafsack zusammen.
Fast schon fröhlich und in freudiger Erwartung schiebe ich meinen Drahtesel durch den völlig aufgeweichten Boden hoch zur Deichkrone, wo sich der Radweg befindet.
Als ich die keuchend erreicht habe, erfasst mich eine Windbö, die mir für einem Moment den Atem raubt.
Zu meinem Glück habe ich in weiser Voraussicht auch die zweite Etappe sehr kurz gehalten. Vor mir liegen anstrengende 45 km die darauf warten, bewältigt zu werden.
Zeitweise kann ich nur in den untersten Gängen vorankommen. Schon die kleinste Erhebung zwingt mich aus dem Sattel.
Aufgrund umfangreicher Deichschutzmaßnahmen muss ich über weite Strecken meine Route ändern. Dort wo die Maßnahmen bereits abgeschlossen sind, wird der Weg wegen zum Schutz der weidenden Schafe gesperrt.
In Wremen erwartet mich strahlender Sonnenschein. Das Zelt ist schnell aufgebaut und die klammen Sachen zum Trocknen aufgehängt.Der kleine Hafen am Außendeich ist voll von Krabbenkuttern, die auf die Flut warten um wieder auf Fang zu gehen.
Nach einer ruhigen Nacht auf dem schönen und gepflegten Campingplatz verlangt der nächste Tag meine volle Kondition ab. Es liegen schließlich über 100 km vor mir, wenn ich es bis nach Kollmar an der Elbe schaffen will.
Bei leider wieder trüben und regnerischen Wetter geht es der Küste entlang, nach Cuxhaven. Ich radle durch die Cuxhavener Küstenheide, vorbei an den Touristenhochburgen wie Sahlenburg, Duhnen und Döse. An der Kugelbake, dem Wahrzeichen von Cuxhaven geht es südöstlich weiter zum Hafen. Dem Leuchtturm „Alte Liebe" statte ich noch einen Besuch ab, bevor mich die Fähre nach Brünsbüttel übersetzt.
Nach etwa siebzig Minuten erreichen wir die andere Seite von der Elbe. Hier fahre ich meist am Außendeich durch unendlich vielen Schafsweiden entlang. Hier sind diese Wege für Radfahrer freigegeben, was nicht immer von Vorteil ist.
Die Wege sind durch die Schafe dermaßen verdreckt, sodass man oft die Straße nicht mehr erkennen kann. Ich nenne diesen Streckenabschnitt, die Kot Azur des Nordens.
Nach dem AKW Brokdorf wo ich Matthias mit seiner Puppe „Schantalle" kennenlernen durfte, geht es nach einem kurzen Schnack weiter nach Glückstadt.
Es trennen mich nur noch 12 km von Kollmar. Hinter mir brauen sich dunkle Wolken zusammen, die nichts Gutes verheißen können. Noch bevor der nächste Regen einsetzt, habe ich den Platz erreicht und noch rechtzeitig mit den ersten Tropfen meine Sachen ins Zelt gerettet.
Kollmar ist ein 1700 Seelendorf, mit einer sehenswerten Kirche aus dem 15. Jahrhundert. Durch ein erhöht angebrachtes Schleusentor gelangt man zum Außendeich, wo sich eine Fischbude befindet, und zu meinem Erstaunen gibt es auch WLAN!
In der Nacht konnte ich hervorragend schlafen, meine Zeltnachbarn haben erst zur Ruhe gefunden, als ich mich wieder auf dem Weg gemacht habe.
Mit etwas Rückenwind geht es früh morgens ziemlich flott voran, sodass ich schon um acht Uhr am Krückauer-Sperrwerk stehe, um mit Entsetzen festzustellen, dass die Krücke erst um neun Uhr die Schranken hebt.
Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich in die Dorfbäckerei und hätte mir die Zeit bei einem leckeren Frühstück vertrieben.
Zurückfahren kommt für mich nicht infrage. So bleibt mir nur die einzige Wahl, solange flussaufwärts zu fahren, um an nächsten Brücke das Rinnsal zu überqueren. Nach endlos sich dahinziehenden 10 km erreichte ich ins Kronsnest eine Fähre.
Es ist die kleinste Fähre Deutschlands und hat den Namen „Hol över". Was soviel bedeutet wie: „Bring mich rüber".
Da die „Krücke" auch noch seinen Tiefststand hat, hilft mir der Fährmann beim „Einchecken". Ohne Hilfe wäre ich mit samt dem Rad im Schlick von der „Krücke" versunken.
Endlich auf der anderen Seite heil angekommen, muss ich wieder auf den Elberadweg zurück. Ein Blick auf die Uhr bestätigt mir, dass ich glatte zwei Stunden verplempert habe. Wobei ich sonst nie im Leben die kleinste Fähre Deutschlands gesehen hätte.
An der Elbe wieder angekommen, lege ich eine Pause ein. Vor mir liegt die Elbinsel Pagensand. Das Wetter klart auf, die Sonne beobachtet neugierig mein Treiben. Um 11 Uhr erreiche ich das Schulauer Fährhaus in Wedel. Die nächste Fähre geht in etwa zwei Stunden und so habe ich genug Zeit, eine Kleinigkeit einzunehmen.
Riesige Pötte aus aller Welt ziehen an uns vorbei. Jedes Schiff über 1000 Grosstonns wird begrüßt oder verabschiedet. Dabei wird die Hamburger Flagge gehisst und die jeweilige Nationalhymne über Lautsprecher abgespielt. Dieser Welcome Point ist sogar in jeder Seekarte verzeichnet.
Das Übersetzen zum anderen Elbufer dauert nur 20 Minuten.
Hier betreten wir das Alte Land.
Mein nächstes und letztes Ziel heißt Harsefeld. Meine Oberschenkel brennen und mein Hintern tut mir weh. Es macht sich meine Konditionsschwäche bemerkbar. Auch wenn ich jetzt schon einige Kilometer gefahren bin, es haben mir die Ruhephasen dazwischen gefehlt. Heute werde ich richtig schlemmen, und dafür ist ein Steakhouse doch genau richtig.
Astrid die Hüterin des Campingplatzes, drückt mir gleich einen Gutschein vom „Vanero" mit den Worten in die Hand, „wenn du satt werden willst men Jung, dann gehe dahin."
Frisch geduscht, mit Jeans und dem Gutschein mach ich mich auf dem Weg. Obwohl das Lokal wirklich nur einen Steinwurf von meinem Zelt entfernt ist, laufe ich trotzdem vorbei.
Der Küchenduft weist mir den Weg. Natürlich muss ich in erster Linie meinen Flüssigkeitshaushalt wieder auffüllen.
Da kommt mir ein Aperol Spritz wie gerufen. (Es war zwar ein Hugo, hat aber trotzdem geschmeckt). Zur Sicherheit noch eine Flasche Sommersby. Starters kann ich getrost überspringen, ich habe schon genug Hunger und muss meinen Magen nicht noch mehr in Rage bringen. Eine VANEROpfanne klingt verlockend dazu einen frischen Salat vom Buffet und Country Potatoes. Aus der Küche kommt ein Klingelton, das heißt, mein Essen rollt an. Auf mich kommt ein riesiger dampfender Fleischberg zu, der das Dekolleté der hübschen Kellnerin vollkommen verdeckt. „Das soll ich wirklich alles essen?", frage ich erstaunt. Ich kann es nicht fassen, aber ich habe alles weggeputzt. Da gönne ich mir doch noch ein Eis und einen Hugo hinterher. Ich finde, dass der Abend ein schöner Abschluss zu meiner Radtour ist.
Heute stehen noch mal an die 70 km auf dem Programm. Beim letztmaligen Verstauen meiner Utensilien, denke ich noch immer ans VANERO. Ich brauche zwei Stunden um das Völlegefühl zu verbrennen. Der wieder aufkommende Gegenwind tut sein Übriges. Ich quäle mich von Dorf zu Dorf. Je dichter ich an Bremen komme, desto länger dauern die Pausen. So flach wie immer behauptet wird, ist der Norden nun doch nicht.
Um Punkt 13 Uhr bog ich in unsere Straße ein.
Fazit: Wenn meine Kondition und das Wetter besser gewesen wären, hätte man die fünf Tage mehr genießen können. Was die Fahrfreude zusätzlich getrübt hat, war die teilweise beschissene Wegstrecke im wahrsten Sinne des Wortes.
Die Campingplätze, die ich angesteuert habe, hatten nur das Notwendigste an Komfort zu bieten. Ich habe meine Elbradtour noch nicht zu den Akten gelegt.