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Elbe-Oder-Tour 2017

Autor: Luis 22.02.2023

Mit Sandro hatte ich mich an dem Abend noch sehr angeregt ...

 

Die Entscheidung war gefallen

Mit Sandro hatte ich mich an dem Abend noch sehr angeregt unterhalten. Nebenbei konnten wir das Gewitter bequem aus dem Trockenen heraus beobachten. Wir bedauerten es, dass sich unsere Wege wieder trennten. Als ich zu Bett ging, fasste ich den Entschluss, meine Tour, um einige Tage zu verkürzen.
Das Gewitter hatte sich schon in der ersten Nachthälfte beruhigt, und es war keine einzige Wolke an Himmel zu sehen. Das perfekte Reisewetter!
Nach dem Frühstück machten wir noch einige Fotos und tauschten Telefonnummern aus. Dann war es soweit, ich machte mich auf nach Frankfurt/Oder. Es lagen vierzig Kilometer vor mir. Das Ticket hatte ich per online bestellt. Bis 13 Uhr verblieb mir genügend Zeit, und ich musste mich nicht abhetzen. Auf halber Strecke war es vorbei mit dem wolkenlosen Himmel. Wind kam wieder auf. Den Bahnhof von Frankfurt erreichte ich noch trockenen Hauptes. Mein Rad kettete ich vor der Polizeistation an einen Baum. Die Taschen verstaute ich ins Schließfach. Meine größte Sorge war, wie komme ich mit dem Rad samt 22 Kilo Gepäck zu den Bahnsteigen, die sich bekanntlich immer in einer anderen Ebene befanden. Sie war zum Glück unbegründet, ein Aufzug nahm mir diese Sorge ab. Der Regionalzug fuhr auch pünktlich ein, und ich befand mich glücklicherweise auf dem richtigen Bahnsteig. Die Abfahrt verzögerte sich um mehr als zwanzig Minuten.
Für mich war es ein total ungewohntes Gefühl, ohne Muskelkraft einfach die Landschaft an sich vorbeiziehen zu lassen. Und noch dazu mit einer erheblich höheren Geschwindigkeit. Mich beschlich ein bis dahin unbekannter Zustand. Ich fühlte mich wie mein eigener Verräter und suchte nach Gegenargumente. Es stand bereits während meiner Planung am PC schon fest, dass ich mir diese Option offenlassen wollte. Und doch kam verletzter Stolz auf und nagte an meinem Ego. Ein besorgter Blick auf meine Uhr sagte mir, den Anschluss in Cottbus konnte ich nicht mehr erreichen. Meine Bedenken teilte ich der Zugbegleiterin mit. Sie zückte ihr Handy und versicherte mir, das der Anschlusszug auf mich warten würde. Aha, dachte ich mir, das möchte ich sehen. Und es kam so, wie versprochen, sogar noch besser. Der andere war noch nicht mal in Cottbus angekommen. Das allerdings wusste ich erst, als ich vollkommen verausgabt am leeren Bahnsteig stand. Denn hier bot man mir nicht den Luxus mit dem Aufzug.
Da auch dieser Zug seinen Fahrplan nicht mehr einhalten konnte, war es nur logisch, dass das gleiche Problem sich in Ruhland, meiner nächsten Umsteigestation, wiederholen würde. Da musste ich nämlich noch einmal umsteigen, um nach Dresden zu kommen. Diesmal sah ich der Sache aber gelassener entgegen. Auch da blieb mir die Schinderei zum Bahnsteig nicht erspart.
Endlich in Dresden angekommen, erlitt ich beinahe einen Kulturschock.

07.06.2017-Elbe-Oder-Tour-2017 1400x788 www.luis_steiner.deDer Straßenlärm, die Hektik, Menschenwalzen, für die es offenbar keinerlei Regeln zu berücksichtigen gab. Nach fünf Minuten sehnte ich mich an die Einsamkeit der letzten Tage zurück. Ans Fahren war in dem Gewühle überhaupt nicht zu denken. Ich schob mein Rad erst aus der Masse raus, als vor mir die Elbe sichtbar wurde. Jetzt hieß es für mich, nichts wie weg von hier. Das war mein oberstes Ziel.
Nur der herannahende Sonnenuntergang, der die Prunkbauten in orangfarbenes Licht tauchte und die Wiesen in einem grellen Grün zum Leuchten brachte, milderte meine grenzenlose Enttäuschung ein wenig ab. Sonst hätte ich mich schon längst heulend in die nächste Ecke geworfen. Mein achter Sinn raunte mir unaufhörlich zu, ich solle auch diese Nacht ein Hotel aufsuchen und nicht mehr nach Königstein zum Campingplatz fahren.
In Heidenau ließ ich mich endlich breit schlagen. Bei der Pension Fährhaus war für den heutigen Tag Schluss. Die Location konnte nicht besser sein. Ein ungehinderter Blick auf die Elbe ohne störenden Verkehrslärm. Wenn doch bloß der Kellner seine Freundlichkeit nicht zuhause vergessen hätte.

 Das Zimmer war zwar etwas klein, jedoch sauber und modern eingerichtet. Ich hatte ausgezeichnet geschlafen.
Der Morgen zeigte sich von seiner schönsten Seite. Ein strahlend blauer Himmel empfing mich und auf dem Fluss fuhren fast lautlos die ersten Ausflugsdampfer elbabwärts. Dieser Tag war dafür geschaffen, die schönste Strecke in vollen Zügen genießen zu können.
 Ich konnte es kaum noch erwarten, wieder im Sattel zu sitzen. Wie oft hatte ich mir diesen Abschnitt im Traum vorgestellt? Die Wirklichkeit sah jedoch erheblich nüchterner aus. Massen von Radfahren bewegten sich in die Richtung, wo ich mein Traumziel vermutete - Bad Schandau. Der Radweg führte nicht, wie in den Hochglanzbroschüren beschrieben, immer idyllisch am Elbufer entlang. Und es befanden sich nicht nur rücksichtslose Erholungssuchende auf dem teilweise miserablen Radweg. Es gesellte sich zu allem Ärger auch noch ein Tanklastwagen dazu.07.06.2017-Elbe-Oder-Tour-2017 800x450_www.luis-steiner.de Dieser blockierte die ohnehin knappe Spur total. Es war keine Möglichkeit zum Überholen. Im Gegenteil. Nicht nur das es uns die rare Sicht nach vorne versperrte, er nebelte uns die ganze Zeit mit seinen Abgasen ein. Obwohl ein Auto auf diesen Abschnitt nichts verloren hatte.
Endlich kam Königstein mit dem Campingplatz, den ich Monate vorher als den Platz in meinen Träumen auserkoren hatte, in Sicht. Ich war entsetzt.
 Nur ein dürftig geflickter Maschendrahtzaun trennte den Platz von der Straße, wo sich die Massen vorbeibewegten. Rechts oberhalb verliefen die Gleisanlagen der S-Bahn. Parallel zu den Schienen dröhnten die Autos auf der Bundesstraße 172 vorbei. Ich blieb wie angewurzelt stehen, weil ich es einfach nicht glauben konnte.
Auf der hoffnungslos überfüllten Zeltwiese bereiteten sich gerade eine Schar pubertierende Kinder, mit ihren völlig überforderten oder gleichgültigen Betreuern, scheinbar für eine Wanderung vor. Enttäuscht aber gleichzeitig heilfroh, setzte ich meinen Weg fort. Ich ließ die lärmende Meute hinter mir, und bedankte mich bei meinem achten Sinn.
 Meine Enttäuschung verflüchtigte sich auch nicht, als einige Hundert Meter weiter noch andere Campingplätze auftauchten, die schon eher meinen Vorstellungen entsprachen. Ich setzte meine ganze Hoffnung auf die noch verbleibenden Kilometer bis nach Bad Schandau, und dachte mit Wehmut an die letzten wundervollen Tage zurück. Die Stille und Einsamkeit an der Oder. Die teilweise noch unberührte Natur. Ab und zu kamen mir ein oder zwei Radfahrer entgegen. Man blieb stehen, begrüßte sich freundlich, quatschte einige Sätze, tauschte Erfahrungen aus und tauchte wieder behutsam in die natürliche Umwelt ein. Da nahm ich mir immer öfters die Zeit, vom Rad abzusteigen, mich in das Gras der Deichkrone zu setzten und die Weite der Landschaft zu inhalieren. Hier empfing mich das Gegenteil, es herrschte beinahe Volksfeststimmung.
 Das Einzige was mich hier mehrfach zum Absteigen zwang, waren die Menschenmassen. Als auch noch der ohnehin desaströse Radweg, der diesmal am Fluss entlangführende, wieder einmal durch eine Baustelle gesperrt war, platzte mir der Kragen. Auf Bad Schandau wird ersatzlos verzichtet!
 Enttäuscht war ich nicht, sondern nur wütend, dass ich so viel Zeit und Emotionen in diesen Streckenabschnitt, Dresden-Bad Schandau, investiert hatte. Für mich persönlich waren diese Kilometer nicht die Pedale wert. Abgesehen von einigen Highlights. Vielleicht lag es an der falsch gewählten Jahreszeit?
 Da ich für die paar lumpigen Kilometer kaum die Landschaft genießen konnte und einzig und alleine nur den Vormittag damit vertrödelt hatte, beschloss ich, die Bahn in Anspruch zu nehmen. Mühsam kämpfte ich gegen den Strom Erholungssuchender an. Mit Erleichterung registrierte ich am Zugang zu den oben gelegenen Bahnsteigen, die Existenz eines Fahrstuhles. Der sollte mich mitsamt dem Rad und Gepäck nach oben zu den Bahnsteigen bringen. 

 Erwartungsfroh beobachtete ich das langsame Nähern der Kabine. Gerade als im Begriff war, den Mantel des Verzeihens über diesen missglückten Vormittag auszubreiten, stellte ich voller Entsetzen fest, dass der Fahrstuhl viel zu klein ist. Ich bekam mein Rad auch nach mehreren Versuchen nicht in das Mistding von Fahrstuhl. Zwei Optionen boten sich mir an. Die erste war, wieder zurückfahren, bis die Hauptstraße den Radweg kreuzen würde. Um dann auf der obereren Ebene zum Bahnhof zu gelangen. Oder die steile Treppe, vor der ich ziemlich hilflos und ungläubig davorstand, zu erklimmen. Eine tiefe männliche Stimme riss mich jäh aus meiner Lethargie.
„Kann ich Ihnen behilflich sein?" Neben mir stand ein Ehepaar, die auch nach oben zum Bahnsteig wollten. Zu zweit bugsierten wir mein Rad samt Gepäck nach oben. Da ich mangels Internetverbindung nicht die Möglichkeit hatte, mir ein Ticket zu bestellen, war ich auf eine Fahrkarte aus dem Automat angewiesen. Auch hier standen mir die Beiden mit Rat und Tat zur Seite. Ich entschied mich für Meißen und zog den Fahrschein aus dem Automat.
Anderthalbstunden später stieg ich am Bahnhof Meißen-Triebischtal aus. Dadurch hatte ich meine Gesamtreisezeit wieder um einen Tag verkürzt. Ich war mir nicht zu Hundertprozent sicher, in welche Richtung ich weiterfahren musste. Deswegen setzte ich mich vorm Bahnhof auf eine Bank und studierte mein Navi. Ich dachte, wenn schon in Meißen, dann sollte ich der Stadt auch etwas mehr Aufmerksamkeit schenken. Ich folgte den Schildern, die mich an der Porzellanmanufaktur vorbei, zur Altstadt führen sollten.
Am Heinrichsplatz, 07.06.2017-Elbe-Oder-Tour-2017 800x450_www.luis-steiner.demitten in der Altstadt, fand ich eine nette Eisdiele und genehmigte mir sechs Kugeln. Erfrischt machte ich mich auf dem Weg nach oben, zum Dom. Nicht nur das es arg steil war. Die schmale Gasse, die zum Dom führte, war außerdem mit Kopfsteinpflaster ausgestattet. Ich verzichtete auf die extreme Schinderei und schob mein Rad. Auch wenn sich einige mit ihren Bikes an mir vorbei nach oben quälten. Am sogenannten Balkon von Meißen angekommen, genoss ich die wunderbare Aussicht. Ich verfolgte den Radweg an der Elbe, soweit es mir möglich war. Runter bewegte ich mich äußerst langsam, dabei immer beide Hände an der Bremse.
Endlich stand ich wieder komplett durchgeschüttelt, aber unversehrt auf dem Elberadweg. Schon nach einigen Kilometern hatte ich Königstein und den Vormittag vergessen. Hier kehrte die innere Ruhe zurück. Ein festes Ziel hatte ich mir nicht gesetzt. Aufgrund der Tatsache, dass ich schon am Morgen mehr als vierzig Kilometer für die Katz unterwegs war, wollte ich jetzt noch höchstens zwei bis drei Stunden elbabwärts radeln.
 Landschaftlich fanden sich gewisse Parallelen zum Oderradweg. Mit dem Unterschied, dass es an der Elbe merklich dichter besiedelt ist. Ich fand wieder öfters Abschnitte, wo ich vom Rad abstieg und den Anblick genoss. Die Stadt Riesa, die direkt an der Elbe liegt, hatte ich schnell durchquert. Etwas außerhalb davon, setzte ich mich auf eine Bank und nahm einige Schluck aus der Flasche. Durch die permanente Sonneneinstrahlung schmeckte es eher wie abgestandener Glühwein. Bei diesen Temperaturen ging der Wasservorrat rasant zur Neige.
 Ich beobachtete zwei Radfahrer, die schnell näherkamen. Es waren welche mit E-Bikes. Als sie mich auf der Bank sahen, blieben sie stehen und wir unterhielten uns eine ganze Weile. Beide kamen aus Achim, das ist in der Nähe von Bremen. Sie waren um einige Jahre jünger. Ich schätzte sie auf Ende Dreißig bis Anfang Vierzig. Wir stellten fest, dass wir uns kurz nach Meißen das erste Mal begegnet waren und uns wieder aus den Augen verloren hatten. Beide hatten nagelneue Räder, allerdings mit unterschiedlichen Akku-Größen. Ihr Ziel, so hatte ich erfahren, war Magdeburg. Von da wollten sie mit der Bahn wieder zurückfahren. Während sich die beiden noch bei einer Zigarette ausruhten, setzte ich meinen Weg fort. Zum Abschied meinte ich, „ihr werdet mich sowieso gleich überholen", kam ein eher zaghaftes Nein über ihre Lippen. „Unsere Akkus sind so gut wie alle. Deswegen müssen wir jetzt etwas sparsamer damit umgehen."Da lobte ich mir doch wieder die Muskelkraft, auch wenn es mir nicht immer leichtfiel.
 Kurz vor der nächsten Ortschaft, deren Kirchturm schon von Weitem zu sehen war, hielt ich bei einem alten Mann kurz an. Wir begrüßten uns freundlich und wechselten einige Sätze über das schöne Wetter. Auf meine Frage, ob in der kommenden Ortschaft ein Hotel wäre, nannte er mir einen Namen. „Das Hotel ist gut, so wie ich gehört habe. Ich brauchte zum Glück noch nie in den Dingern übernachten." Dabei lachte er laut auf und klopfte sich amüsiert auf die Schenkel. „Das andere, ein paar Straßen weiter, mit der gelben Fassade, aber das ist schlecht zu finden, das hat schon lange geschlossen. Aber ins Ambinde, da können sie ruhig hinfahren." Höflichkeitshalber wartete ich noch die Ellenlange total verwirrende Wegbeschreibung ab, und verabschiedete mich. Ich hörte ihn noch einige Straßennamen hinter mir herrufen. Ich hob den Arm hoch und winkte noch mal freundlich zurück.
Strehla liegt direkt an der Elbe und ist eine Kleinstadt von cirka 4000 Seelen

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. Das Hotel hieß Ambiente, und ich konnte es auf Anhieb finden. Das Zimmer war zwar klein aber urgemütlich.
 Am nächsten Morgen wurde ich mit einem Frühstücksbuffet überrascht, welches seinesgleichen suchte. Mein erster Gedanke, es befindet sich ein Geburtstagskind unter den Gästen. Aber dann stellte ich fest, dass alle Tische so liebevoll dekoriert waren.
Bei dieser heimeligen Atmosphäre und dem reichhaltigen Angebot fiel es mir am Ende schwer, mich von der Gastlichkeit und der freundlichen Bewirtung der Familie Barth, zu trennen.

Zum nächsten Kapitel: Wittenberg Lutherstadt, und weiter ...?
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