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Tunnelblick und Paukenschläge| Kurzgeschichte

Autor: Luis 05.12.2021

Kurzgeschichte von Alois Steiner: Tunnelblick und Paukenschläge. Lesen Sie kostenlos weitere Kurzgeschichten aus dem Leben des in Österreich geborenen Autors und Malers unter http://www.alois-steiner.de

Es war bereits die zweite Urlaubswoche und das Wetter meinte es immer noch gut mit uns.
Ich hatte mir vorgenommen, mein Moped mit einem selbst gebauten Lenker aufzumotzen. Es sollte ein »Hochgezogener« werden.
Bei meiner Lehre als Schweißer hatte ich während meiner Ausbildung bei der Voest Alpine als Einziger einen Raum, der durch einen schwarzen Vorhang abgetrennt wurde.
Dies hatte einmal den Vorteil, dass die anderen Mitarbeiter vor den Strahlen des Lichtbogens geschützt wurden. Für uns Lehrlinge, waren die anderen Vorteile eher ausschlaggebend.
Zum einem konnte man in meiner Schweißerkabine ganz ungestört eine durchziehen, da der Qualm nach unten abgesaugt und ins Freie geleitet wurde. Außerdem eignete sich die Kabine hervorragend als konspirativen Treffpunkt für ein Schwätzchen zwischendurch.
Unser Ausbildungsmeister war natürlich auch nicht ganz dumm. Natürlich kontrollierte er fallweise die Schublade, in dem neben der Schlacke auch die abgebrannten Elektroden entsorgt wurden. Wenn dann eine Kippe entdeckt wurde, dann war die Kacke aber am dampfen. Dabei war es unerheblich, ob er jemanden beim Rauchen in flagranti erwischt hatte oder nicht. Derjenige Lehrling, der gerade die Schweißerausbildung machte, durfte dafür am Samstag zur Arbeit erscheinen. Oft genug war ich derjenige.
Es hatte aber auch sein Gutes, denn an diesen sogenannten Strafsamstagen gab es kaum eine Aufsicht. Ein einziger Meister bekam dann oft die Verantwortung über mehrere Abteilungen. So kam es, dass man ziemlich ungehindert Arbeiten für den privaten Bereich erledigen konnte.
Ich konnte bei der Gelegenheit meinen hochgezogenen Lenker wie bei easy rider in aller Ruhe fertigen. Schon immer hatte ich von so einem Teil geträumt. Einige meiner Mitschüler aus dem dritten oder vierten Lehrjahr hatten sich schon solche gebaut. (Die Lehrlinge von der Voest-Alpine wurden damals Werkschüler genannt).
Meiner sollte natürlich der Eyecatcher schlechthin werden. Mit einem Außenmaß von sage und schreibe 98 cm war ich damit der Einzige weit und breit.
Natürlich konnte ich nicht mit dem Monster in der Hand beim Portier vorbeispazieren. Denn der hatte auf uns ein besonderes Augenmerk gerichtet. Zum Glück war hinter der Lehrwerkstatt gleich der Sportplatz. Da gab es genug Buschwerk, wo der »Pfusch« (unerlaubte Arbeit) unauffällig zwischengelagert werden konnte.

Diesen Lenker montierte ich also auf mein Moped. Er war nicht nur krass breit, sondern auch dementsprechend hoch, was zur Folge hatte, dass sämtliche Bowdenzüge und Seile zu kurz waren und erneuert werden mussten. Das hatte ich wiederum nicht in Betracht gezogen.
Wenn ich schon mal dabei war, sagte ich mir, dann sollte ich mich auch gleich der lästigen Blechschürze entledigen. Damit meine Beine während der Fahrt nicht in der Luft baumeln musste, schraubte ich zwei Fußraster an, die vorher als Handgriff an einer Flex ihren Dienst gemacht hatten.
Einmal probesitzen, wau, was ist das bloß für ein geiles Gerät geworden. Der Lenker war noch zu hoch. Meine Hände waren auf Höhe meines Scheitels, das sah beschränkt aus. Noch mal die Klemmschrauben lösen und den Lenker nach unten Richtung Sitzbank geschwenkt. Nach einigen Korrekturen war es endlich soweit. Meine erste Probefahrt konnte starten.
Die Jungs und Mädels staunten nicht schlecht, als ich mit meiner aufgemotzten Karre um den Holzschuppen heizte. Allerdings sollte ich zu enge Kurven in Zukunft tunlichst vermeiden. Dadurch, dass ich den Lenker tiefer gezogen hatte, musste ich auf der ohnehin schon sehr kurzen Sitzbank noch ein ganzes Stück weiter zurück. Das sah zwar noch erheblich lässiger aus, aber der Platz für einen zweiten Mann wurde dadurch denkbar knapp.
Für den nächsten Morgen hatten wir eine Jungferntour geplant. Pünktlich um 11h holte ich meinen Freund ab, der zwar auch dasselbe Modell fuhr, aber es war mit meiner nicht zu vergleichen.
Meine Idee war, ins Tal rein zufahren. Mir war zu Ohren gekommen, dass dort ein ca. 800 m langer Tunnel für die Umleitung des Talbaches zwar fertiggestellt, aber noch nicht in Betrieb genommen worden war. Der kleine Talbach, wie man ihn nannte, verursachte bei starkem Regen jedes Mal erhebliche Schäden, sodass man sich entschlossen hatte, das sonst so harmlose Rinnsal mittels Tunnel, durch einen Berg umzuleiten. Auf der anderen Seite sollte er in einem größeren Gewässer münden.
Als wir dort ankamen, fielen mir die ungewöhnlich vielen Menschen auf. Meist kamen sie doch erst am Nachmittag, um dann mit ihren Familien das nicht weit entfernte Landgasthaus zu besuchen. Ein Blick nach rechts ließ mich jedoch aufatmen. Die betonierte Rinne, die in den Tunnel führte, war noch staubtrocken.
Mit quietschenden Reifen hielten wir zum Ärgernis mancher, staubumhüllt, am Straßenrand an.
Ohne auch nur ein Wort zu wechseln, setzten wir uns nach kurzem Blickkontakt mit einem Lachen im Gesicht in Richtung Betonrinne in Bewegung. Hinter uns hörten wir nur noch zeter und mordio.
Über Stock und Stein ging es runter zum noch trockenen Flussbett. Um auch von jedem gesehen und verflucht zu werden, knatterten wir einige Hundert Meter in der Rinne den Berg hoch, bis zu dem Staudamm, der den Bach zurückhielt. Wir genossen die Aufmerksamkeit die uns zuteilwurde.
Um uns in der Rinne, bevor das Wasser uns die Möglichkeit nahm, ein Denkmal zu setzten, legten wir noch einige halsbrecherische Burnouts aufs Parkett. Nun wurde es aber allerhöchste Zeit dem Zorn der aufgebrachten Bürger zu entrinnen, sodass wir das Weite suchten und auch fanden. Also abdrehen, und ab in den Tunnel. Ein Aufschrei schwappte von der Fankurve runter, als auch der letzte unseren Plan durchschaute.
Die Röhre war groß genug, sodass wir in leicht gebückter Haltung hintereinander in die Darkness des Tunnels verschwanden. Wir hatten nicht mit dieser plötzlichen Finsternis gerechnet und waren ziemlich erschrocken. Ohne Licht ging hier gar nichts mehr. Auch unsere ursprüngliche Meinung, dass die Röhre gerade verlaufen würde, hatte sich in dem Augenblick zerschlagen, als wir im wahrsten Sinne des Wortes, erst nach einer langen nicht enden wollenden Linkskurve, endlich Licht am Ende des Tunnels zu sehen bekamen.
Über das anschließende Verlassen der Rinne hatten wir noch keine weiteren Gedanken verschwendet. Ein undefinierbares, sich scheinbar unmittelbar hinter uns aufzubauende Geräusch zwang uns zu einem Stopp.
Nachdem wir beide Motoren zum Schweigen gebracht hatten, hörten wir es ganz deutlich und konnten es nicht glauben. Es schwoll bedrohlich an. In diesem Moment verlor es schlagartig den Status undefinierbar. Das einst so harmlose Bächlein mutierte hinter unserem Rücken zu einer riesigen Wasserwand. Unmengen von Steine und Schlamm waren die Vorboten der drohenden Gefahr.
Mein Freund, der sich gerade noch eben hinter mir befand, versuchte in seiner Panik, sich an mir vorbei zu quetschen, blieb aber dank meines überdimensionalen Lenkers mit seinem Griff an einen meiner Bowdenzüge hängen. Von meiner Schaltzentrale erging an sämtliche Extremitäten, für die das Wort Flucht kein Fremdwort war, das Kommando, rette deinen Arsch.
Während mein Kopf noch einen Blick nach hinten riskierte, setzten sich meine Beine schon in Bewegung. Als meine Zehenspitzen, durch meine neuen Rollingstones-Stiefeln nur noch vagen Bodenkontakt vermuteten, jumpte ich mit einem filmreifen Sprung auf die Sitzbank meines Gefährts. Jetzt hieß es nur noch, die Nerven bewahren. Die Rechte umklammerte fest den Gasgriff. Drei Finger lösten sich davon blitzschnell, um nach dem Kupplungshebel zu greifen. Daumen und Zeigefinger übernahmen jetzt entschlossen und voller Stolz die Verantwortung. Der Kupplungshebel mit der integrierten Drehmechanik für die Dreigangschaltung, pendelte sich auf die schwach erkennbare Einkerbung ein, die für den zweiten Gang stellvertretend war.

Wasser mit Geröll vermischt setzten ohne Beachtung unseres Daseins zum Überholen an.
»Verdammt, beeil dich«, schrie es von innen heraus. Der Gasdrehgriff versuchte den Anschlag zu überwinden. Mein ohnehin schon auf das Maximum hochgezüchteter Untersatz, legte noch einige Drehzahlen zu. Jetzt ließ ich den Hebel der Kupplung bei konstant hoher Drehzahl zurückschnellen. Mich riss es mit aller Wucht nach hinten, wo sich zu grauer Vorzeit noch ein Gepäckträger befand.
Da ich mich schon lange der Kotflügel entledigte, sah ich auch keine Notwendigkeit mehr, einen Gepäckträger spazieren zu fahren. Das wäre in dieser Situation dann doch sehr hilfreich gewesen.

Wie schon erwähnt befand ich mich durch den »Hochgezogenen« eh schon auf der zweiten Hälfte der Sitzbank. Zum Glück hatte ich mein Nummernschild mit einer zwei Millimeter dicken Blechplatte am Ende der Sitzbank und etwas erhöht befestigt. Zum einen sah es unheimlich sportlich aus, der andere Vorteil war, dass dadurch ein direkter Kontakt mit meinem Hintern zum Rad gerade noch vermieden werden konnte.
Im Moment hatte ich mehrere Baustellen, deren Absicht es war, mir nach Leib und Leben zu trachten.
Durch das enorme Drehmoment auf das Hinterrad in Zusammenwirken meiner äußerst ungünstigen Sitzposition, bäumte sich die Maschine wie ein wild gewordener Hengst auf.

Ich hatte alle Hände und Füße zu tun, um wieder mit beiden Rädern den Bodenkontakt herzustellen. Durch die Beschleunigung scherte mein Untersatz nach links, um dann mit neuem Schwung die rechte Seite der Röhre zu erklimmen. Endlich fand ich wieder die Spur und konnte die Geschwindigkeit noch erhöhen. Das Moped von meinem Freund war nicht frisiert, und so blieben ihm die artistischen Einlagen erspart. Dafür ergriff ihn die vorauseilende Welle.
Der helle Kreis vor mir wurde immer größer. Trompetenklänge und Trommelwirbel vermischten sich mit den heranrauschenden Wassermassen wie Brackwasser im Delta. Schon längst hatte ich den »Dritten« reingehackt. Meine Tachonadel freundete sich mit der Zahl Achtzig vorübergehend an, um dann mit der 90 eine kurzfristige Liaison einzugehen.
Ich durchbrach die weiße Wand. Hinter mir das schwarze noch bedrohlich rauschende Loch, vor mir zu meiner Rechten, ... eine Tribüne.
Unsere Werkskapelle. 27 in Bergmannsuniform schwarz gekleidete Männer bliesen und trommelten, was das Zeug hergab. Das hatte ich nicht erwartet. Ich drosselte abrupt die Geschwindigkeit um nach meinem Freund Ausschau zu halten. Synchron zu meiner Geschwindigkeit versickerten auch die Töne von der Kapelle. Nur der Trommler, der drosch unbeirrt weiter. Mit einem Tusch und einem großen Fragezeichen in seinem ohnehin nicht allzu intellektuellen Gesichtsausdruck, verstummte auch er.
Für einen Bruchteil erstarrten wir zur Salzsäule. Ich scannte die rechte Uferseite. Mindestens 500 Menschen, darunter Familien, die diesen Anlass zum Sonntagsspaziergang nutzten, trauten ihren Augen genauso wenig wie wir.
Der Bürgermeister war gerade im Begriff eine Rede zu schwingen. Das Wort und auch die Spucke blieben ihm im Halse stecken. Es sah alles so unwirklich, ja, bizarr aus. Selbst der Kapellmeister hatte seine hölzern wirkenden Bewegung eingefroren. Den Taktstock noch in halber Höhe zu den Musikanten zeigend, der Kopf eigenartig verdreht, zu uns blickend. Es glich einer Momentaufnahme von unendlich langer Dauer.

Der heiß herbeigesehnte, und in dieser Situation vielleicht sogar lebensrettende Tauprozess, setzte zum Glück bei uns beiden am schnellsten ein. Ich riss meine Karre nach links, durchbrach die Uferböschung, verhedderte mich in einem Weidezaun und gelangte endlich auf die befestigte Straße. Wo Gott sei Dank nur wenig Schaulustige, darunter einige Alte, sich mit unglaublichen Sprüngen noch zur Seite retteten.

Am nächsten Tag wurde über die kuriose Tunneleröffnung ausführlich berichtet. Von den Rowdys fehlte jede Spur.

Mag das Hirn sein noch so klein,
eine Gabel Stroh passt immer rein.

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