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Meine erste Nachtwanderung | Kurzgeschichte

Autor: Luis 07.04.2023

Kurzgeschichte von Alois Steiner: Meine erste Nachtwanderung. Lesen Sie hier kostenlos weitere Kurzgeschichten, aus dem Leben des in Österreich geborenen Autors und Malers unter https://www.alois-steiner.de

Ich war damals vielleicht acht Jahre alt. Jedenfalls saß ich noch im Kindersitz, der mit einigen Handgriffen mühelos am Gepäckträger montiert werden konnte. An das Moped konnte ich mich noch ganz genau erinnern, es war schwarz und hatte große Räder und war als Einsitzer gedacht.

Wenn ein Österreicher erzählt, dass er in den Graben gefahren ist, hatte er in den meisten Fällen keinen Unfall gebaut.
Vielmehr fuhr er in ein Tal hinein. So auch wir, mein Vater und ich.

Wenn mein Vater sich für eine Reise mit seinem Moped vorbereitete, konnte man meinen, er würde sich für einen Kreuzzug rüsten. Zu seiner umfangreichen Ausrüstung gehörten u.a. seine Stulpenhandschuhe, die wärmten auch noch bei Minus 45°. Egal ob Sommer oder Winter, die mussten, dabei sein. Die Breecheshose, die in schwarzen, immer wie neu glänzenden Schaftstiefel verschwand. Ich vermute, ein Relikt aus der k.u.k. Monarchie. Natürlich durfte ein Stahlhelm nicht fehlen. Es war nicht zu übersehen, dass er schon einige Schlachten miterlebt hatte. Die ursprünglich weiße und makellose Oberfläche war mit etlichen Schrammen und Dellen übersät. Nicht gerade ein Zeichen übervorsichtiger Fahrweise.
Was jetzt noch fehlte, ist der legendäre Kleppermantel von Semperit. Ich vermute, dass es eine Sonderanfertigung war, mit einer 6 mm starken Gummischicht, in M+S Ausführung.
Nun konnte es losgehen. Ab in den Graben, nach Bretstein, dem Geburtsort meiner Eltern. Fast hätte ich es vergessen, die gute alte Hundehalskrause (Fliegenschutz). Ich fand es damals schon so was von peinlich, er sah damit aus wie ein Alien.
Unterwegs hielten wir bei meiner Taufgodel, Tante Kadl aus Trieben. Ich mochte sie nicht, weil sie mich immer abschleckte wie ein Hund. Endlich in Möderbrugg angekommen, ging es dann in den Graben. Es wurde immer dunkler und mein Vater durch die vielen "Besuche", immer lustiger. Ich saß tapfer in meinem Kindersitz und glotzte auf die Gummiwand vor mir, die sich singend durch die Nacht fraß. Plötzlich ging es rapide bergab und ein lautes blechernes Geräusch stoppte uns je. Das Erste, was aus dem Kleppermantel zu hören war, war ein lautes "hoitaus" und "öhaa".
Passiert ist weiter nichts, außer dass das Vorderrad in einer Schubkarre steckte, die Schlimmeres verhindert hatte. Nachdem das Gefährt wieder auf der Straße gestanden hatte, ging es umso lustiger weiter, es ist ja nichts passiert. Endlich waren wir da angekommen, wo es auch mit dem Moped und den filmreifen Einlagen von meinem Vater nicht mehr weiterging.
Bei stockdunkler Nacht ging es dann den Berg hoch. Ich blieb immer ganz dicht bei meinem Vater, er hatte ja eine Taschenlampe, die er auch manchmal benutzte, wenn es wieder einmal galt, einen Gebirgsbach zu durchwaten. Noch hatten wir die Waldgrenze nicht erreicht, plötzlich schaute mich ein funkelndes Augenpaar an.
Mir stockte der Atem, mein Vater hatte noch nichts bemerkt. "Fodda, schau amoi", zischte ich. Außer einem richtig ordinären steirischen Abschneuzer, der mich nur um Haaresbreite verfehlt hatte, war sonst keine Reaktion aus dem Kleppermantel zu vernehmen. Die Schwerhörigkeit meines Vaters hatte für ihn auch so manche Vorteile. Wenn er die lauernde Gefahr nicht hören kann, so braucht er sie auch nicht sehen. Ich blieb abrupt stehen und zupfte kräftig an seinen Mantel. Im selben Augenblick erkannte mein Vater die drohende Gefahr. Instinktiv, einer Raubkatze gleich, glitt er sich geschmeidig zu Boden. Mit einem dicken Knüppel bewaffnet, erhob er sich wieder und schritt furchtlos auf das Augenpaar zu.
Ein peitschendes Geräusch durchschnitt die Stille der Nacht. Der Knüppel sauste zwischen den Augen nieder und machte das Geräusch eines gefällten Baumriesen. Laub, Dreck und Steine spritzten hoch. Ich versteckte mich hinter 6 mm Semperit und riskierte einen Blick in Richtung Gefahr. Wie vom elektrischen Schlag getroffen, wich mein Vater plötzlich zurück. Im Stürzen konnte ich gerade noch sehen, wie die funkelnden Augen sich auseinander schoben, und jedes Glühwürmchen in eine andere Richtung entschwand.

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