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Elbe-Oder-Tour 2017

Eigentlich begann der nächste Tag bilderbuchmäßig. Es war kurz nach Sieben.

 

Durch das Stettiner Haff

Eigentlich begann der nächste Tag bilderbuchmäßig. Es war kurz nach Sieben. Es empfing mich strahlender Sonnenschein und Rückenwind. Der war es auch, der mich die erste Stunde mit frohlockendem Gesicht bis zur nächstgrößeren Stadt trieb.03.06.2017-Elbe-Oder-Tour-2017 800x450_www.luis-steiner.de Sie hieß Demmin! Und genau dort wollte und sollte ich überhaupt nicht hin.
 Mit einer dicken Frustschicht und den gerade noch willkommenen Wind, den ich jetzt verfluchte, weil er mir höhnisch ins Gesicht blies, trat ich den Rückweg an. Nach geschlagenen zweieinhalb Stunden hatte ich wieder den Ausgangspunkt erreicht. Ich versuchte vergeblich, der Sache etwas Komisches abzugewinnen. Im nächsten Dorf angelangt, deckte ich mich mit Süßigkeiten ein.
 Die weitere Strecke verlief ziemlich unspektakulär, außer, dass ich die schwach befahrene Landstraße manchmal mit anderen teilen musste. In Jarmen überquerte ich ein letztes Mal die Peene, die an dieser Stelle schon erheblich an Größe zugenommen hatte.
 Der Campingplatz in Lassan befindet sich direkt an der Stelle, wo sich die Peene zu einem riesigen See aufstaut, bevor sie über Wolgast in die Ostsee weiterfließt.
 Kaum hatte ich mich an der Rezeption angemeldet, fing es langsam zu regnen an. Auf der Zeltwiese befanden sich bereits Zelte. Mit schnellen Handgriffen stand meine Behausung einzugsbereit. Vor dem Zelt mir am nächsten, saß eine Frau auf einem Campingstuhl über ihr Buch vertieft. Als sie hochblickte, ging ich zu ihr und stellte mich vor. Sie erzählte mir, dass sie Anästhesistin in einer großen Klinik in Berlin sei. Zweimal im Jahr würde sie ihre Koffer packen, sich ins Auto setzen, und hier an diesem Platz einige Tage ohne Mann verbringen, um wieder runterzukommen. Sie bot mir einen Hocker an und wir unterhielten uns eine ganze Weile.
 In der Nacht hatte es einige Male heftig geregnet. Und so blieb mir am nächsten Morgen nichts anderes übrig, als das nasse Zelt und den klammen Schlafsack in meinen Taschen zu verstauen. Meine Zeltnachbarin, die sich mir am Vorabend mit Dana vorgestellt hatte, war noch nicht wach, als ich mich fast geräuschlos wieder auf die Socken machte.
 Für den heutigen Tag hatte ich mir eine große Wegstrecke vorgenommen. Kaum saß ich im Sattel, fielen die ersten Tropfen. Und es sah nicht so aus, als ob sich der graue Himmel die nächsten Stunden lichten würde.
 Als ich die Brücke erreichte, die nach Usedom führte, war ich völlig durchnässt. Aus welchem Anlass ich diesen Weg gewählt hatte, war mir im Nachhinein nicht ganz klar.
04.06.2017-Elbe-Oder-Tour-2017 800x450_www.luis-steiner.deMein Navi zeigte mir eine Fahrradfähre an, die mich über das Stettiner-Haff zum anderen Ufer bringen konnte. Und genau da wollte ich hin. Bei strömenden Regen stand ich unter dem Vordach einer Imbissbude in Karnin, und erregte unsägliches Mitleid bei der Besitzerin. Ich verzehrte mit tropfenden Haaren meine Bratwurst und trank dazu einen großen Becher heißen Kakao. Und erst da kam ich auf die Idee, mir die Beinverlängerungen anzuziehen, damit ich nicht mehr vor lauter Kälte mit den Zähnen klapperte.

 Eine Fähre war natürlich weit und breit nicht zu sehen, die musste ich erst per Telefon von der anderen Seite rüberrufen. Nach einer dreiviertel Stunde kam sie über das Haff getuckert. Ohne weitere Fahrgäste schipperte mich der schweigsame Fährmann zur anderen Seite rüber, nach Kamp. Mitten im Haff stand ein großes Stahlgerüst, welches schon von Weitem sichtbar war. Es handelte sich um eine ehemalige Hubbrücke, die noch aus DDR-Zeiten stammte.
 Ich hatte ja nicht erwartet, dass mich in Kamp strahlender Sonnenschein begrüßen würde, aber wenigstens etwas weniger Regen. Aber selbst das war zuviel verlangt. Meine Regenjacke machte dem Namen alle Ehre. Sie ließ kein Wasser durch, zumindest nicht nach Außen.
 Trotz des trüben Wetters konnte ich der Umgebung etwas Schönes abgewinnen. Ich verließ kurz vor Bugewitz die Dorfstraße und folgte an der linken Seite den Mühlgraben. Einige Seeadler zogen elegant dahingleitend ihre Bahnen, während ich, ohne eine Menschenseele zu begegnen, unberührte Naturlandschaft mit dem Rad erkundete.
 Ich verlor mittlerweile jegliches Zeitgefühl, als mir in einiger Entfernung ein Gerüst mitten in der Natur auffiel. Es muss sich um einen Aussichtspunkt handeln. Nicht der Turm erregte meine Aufmerksamkeit, sondern ein gelber Punkt, der sich auf der obersten Stelle zu bewegen schien. Beim Näherkommen sah ich ein Mountainbike, angelehnt an der Treppe, mit zwei kleinen Gepäcktaschen.
 Ich stieg vom Rad und stellte es daneben. Zu der Plattform, die sich etwa in 15 Meter Höhe befand, führte eine Holztreppe. Auf dieser stand ein Mann mit einer gelben Regenjacke und Rucksack, und beobachtete interessiert die Gegend. Er war bestimmt um einen halben Kopf kleiner als ich, und hatte mir den Rücken zugewandt. Warum auch immer. Ich grüßte ihn freundlich und daraus ergab sich ein kurzes Gespräch. Sein Gesicht war ledergegerbt und einige Zähne fehlten ihm bereits in der vorderen Reihe. Insgesamt machte er auf mich einen eher ungepflegten Eindruck. 04.06.2017-Elbe-Oder-Tour-2017 800x450_www.luis-steiner.deEs lag wahrscheinlich auch daran, dass er schon seit einigen Wochen, wie er mir erzählt hatte, unterwegs war. Gestartet war er am Bodensee. Fuhr über Belgien, Holland, Nord und Ostsee. Und wollte über die Tschechei und quer durch Österreich wieder zurück. Auf meine Frage, wo er seine Nächte verbringt, lächelte er mich an. „Immer da, wo es mir gerade gefällt. Für ein Hotel oder einen Campingplatz habe ich kein Geld über." Das erklärte jetzt auch sein Aussehen. „Aber wie machst du das, mit Waschen und so?" Mit seiner ausgestreckten Hand vollzog er einen Bogen. „Schau dich doch um. Wasser findet man überall", und ließ dabei seine Zahnlücken aufblitzen, die die Gelegenheit nutzten, auch die übrigen schwarzen Stummel für einen Augenblick zur Schau zu stellen.

 Da ich nun wusste, dass wir den selben Weg hatten, wurde ich doch etwas unruhig. Ich hatte keine Lust auf Gesellschaft. Ich glaube, es ging ihm genauso. Ich bat ihn, noch ein Foto von mir zu machen und verabschiedete mich mit den Worten, „unsere Wege werden sich in den nächsten Tagen bestimmt noch einmal kreuzen.".Davon war ich überzeugt.
 Für eine gewisse Zeit war es eine willkommene Abwechslung mich mit der seltsamen Begegnung weiter zu beschäftigen. Allmählich verblassten aber die Gedanken und meine Aufmerksamkeit widmete ich wieder meinem Navi.
 Dass ich bis auf die Unterwäsche nass war, störte mich schon lange nicht mehr. Dabei auch noch Hunger zu haben, fand ich eher unangenehm. Mit mir hadernd und tief in Gedanken versunken, radelte ich einen unendlich langen einsamen Waldweg entlang. Dem Felsbrocken, der am Rand lag, schenkte ich keine weitere Beachtung, weil ich an ihm nichts Außergewöhnliches fand. Bis zu dem Augenblick, als wir uns fast auf gleicher Höhe befanden und er sich blitzartig in Bewegung setzte. Nur um Haaresbreite entging ich einer Kollision. Das wäre ein kurioser Unfall gewesen. Der zum Leben erweckte Felsbrocken entpuppte sich zu einem jungen Wildschwein. An diesem kleinen Zwischenfall zehrte ich noch einige Kilometer lang, dabei vergaß ich wieder meinen knurrenden Magen.
04.06.2017-Elbe-Oder-Tour-2017 800x450_www.luis-steiner.de Ob es an der Dauerberieselung von oben lag, ich weiß es nicht mehr. Mir war zumindest jegliches Zeitempfinden abhandengekommen. Auf meinen Geruchssinn allerdings, da konnte ich mich noch sehr gut verlassen. Und der signalisierte mir Küchendüfte. Woher die stammen konnten, war mir mitten im Wald schleierhaft. Sie waren da und ließen sich nicht mehr wegdiskutieren.

 Als ich den Wald verließ, bog ich auf eine asphaltierte Dorfstraße ab. Da wusste ich, dass ich mich auf der richtigen Fährte befand. Ich fuhr wie an einem Band gezogen direkt auf eine Imbissbude zu. Noch in der Ausrollphase grätschte ich mein Bein über den Sattel und lehnte mein Rad gegen einem Baum. Entweder war hier ein Fest oder es wurde vorbereitet. Der Grill von der Fressbude war mit leckeren Würstchen in den verschiedensten Größen bestückt. Die unerwartete Aktivität meiner Synapsen löste in mir fast einen Tsunami aus.
Gestärkt mit Speis und Trank setzte ich mich froh gelaunt wieder auf das Rad.
 Es war kurz vor 17 Uhr, als ich am Campingplatz Waldblick, in Löcknitz eintraf. Was mir sofort auffiel, war die nahezu unheimliche Stille. Kein reges Treiben, keine Männer in Turnhosen und weißen Unterhemden, oder Frauen in viel zu engen pinkfarbenen Trainingsanzügen. All das vermisste ich, was sonst den Herzschlag eines Campingplatzes ausmacht. Selbst das Büro war um diese Zeit nicht mehr besetzt. Insgesamt machte alles auf mich einen verwaisten Eindruck.
 Eine Telefonnummer wies mich darauf hin, eine der angegebenen Nummer in meinem Fall anzurufen. Ein kurzer Blick auf mein Navi zeigte meine heute zurückgelegte Strecke an. Es waren bereits etwas über 100 km, und ein anderer Campingplatz war in näherer Umgebung nicht zu finden. Es sei denn, ich würde wieder 15 km zurückfahren, was für mich nicht in Frage kam. Jetzt anfangen, Hotels zu suchen und abklappern, dazu hatte ich keine Lust mehr.
 Ich wählte einer der Nummern, die an der Bürotür angeschlagen waren. Sofort meldete sich eine Männerstimme und versprach in 20 Minuten auf dem Platz zu sein.
Hatte es nicht bis eben geregnet? Wie zum Trost schob der Wind einige Wolken beiseite, sodass die Sonne ihre angenehmen Strahlen runterschicken konnte. Nun präsentierte sich der Platz gleich in einem anderen Licht. Ich setzte mich auf die Bank und genoss die wohltuende Wärme.
 Ein schwarzer SUV bog auf den Platz. Es war der Platzwart der gleich ausstieg, und mich freundlich begrüßte. „Ich habe es mir gedacht, dass wir uns heute noch mal sehen. Ich hatte sie auf der L 283 in Rothenklempenow gesehen, das liegt 10 km nördlich von hier. Da dachte ich, der will zu uns."Die Formalitäten waren schnell04.06.2017-Elbe-Oder-Tour-2017 800x450_www.luis-steiner.de erledigt. Auf der Zeltwiese war ich wirklich der Einzige. Ansonsten befanden sich nur einige Dauercamper auf dem Areal. Den kompletten Sanitärraum hatte ich nur für mich alleine. Hier konnte ich nach dem Duschen meine Wäsche waschen und alles zum Trocknen ausbreiten. Steckdosen für meine Akkus waren auch in Massen vorhanden.
 Nach der herbeigesehnten Ganzkörperpflege, für das ich eine Marke einwerfen musste, schlüpfte ich in meine trockenen Klamotten und machte mich auf die Suche noch irgendwo einen Happen zu ergattern. Ein schmaler Weg führte mich durch einen kleinen Wald zum See, wo sich eine Baracke befand, an der Bierwerbung angebracht war. Wo Bier draufsteht, da wird es auch ausgeschenkt. Und schon stand ich in der Mitte eines rauchgeschwängerten Raumes, wo sich mehrere Rauswerfertypen an einer Dartscheibe duellierten. Kein einziges Haar zierte ihr Haupt. Und des Weiteren fiel mir der Uniformzwang auf. Auf den meisten übergroßen schwarzen Trainingsanzügen prangte die Werbung mit dem Lable, „Thor Steinar." Hoppala dachte ich, und alle anderen Gäste auch, „wo bin ich da bloß gelandet?" Gleichzeitig verstummte jedes Gespräch, sogar die schwarz kostümierten Storchanhänger hielten mit ihren Pfeilen inne. Die Kellnerin hinter dem Tresen löste die angespannte Situation mit weiblicher Diplomatie auf. „Möchtest du noch eine Kleinigkeit essen? Du siehst aus, als hättest du ordentlich Appetit", und begleitete mich zu einem noch freien Tisch. „Sieht man mir das wirklich an?", fragte ich lachend zurück und strich mir dabei mein wallendes Haar zurück. Zum Glück wurde meine gedankenlose Geste von der Storchgemeinschaft nicht als Provokation bewertet.
Die Bedienung, die auch die Besitzerin sein musste, hatte ihren Laden gut im Griff. Alles hörte auf ihr Kommando. Sie erklärte mir, dass sie laut Behördenauflagen, nur eingeschränkt Gerichte anbieten durfte. Sie servierte mir ein Schnitzel mit zwei Spiegeleier, dazu reichte sie mir Bratkartoffeln und Salat. Ich weiß nicht, ob es nur an der gemütlichen Atmosphäre lag, das Essen schmeckte mir auf jeden Fall vorzüglich.
Nach einem kleinen Spaziergang am See, kroch ich müde und gesättigt in mein Zelt, und hatte das erste Mal verschlafen.

Zum nächsten Kapitel: Auf dem Oderradweg
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  • In Karnin bei strömenden Regen, warten auf die Fähre
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  • Relikt aus DDR - Zeiten
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  • Quer durch den Anklamer Stadtbruch
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  • Wunderschöne Landschaft
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  • ein Blick von oben über das Haff
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  • Ein kleiner Imbiss
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  • Und, wo muss ich jetzt hin?
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  • Hier brach damals der Damm
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  • Das ist mal eine Ansage
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